Blog zu Themen und Fragen aus der Philosophie. Schwerpunkte aktuell sind Digitale Ethik, Bildethik und Künstliche Intelligenz. Ich poste hier zwei- bis dreimal im Monat (mit Ferienpausen). Kommentare sind möglich und erwünscht.
11.09.2024
Die Bilder der Terroranschläge am 11. September 2001 in den USA sind ins kollektive Gedächtnis eingegangen. «Die Bilder kolonisieren unser Gedächtnis: Die Fotos des Aufpralls und der Explosion des zweiten Flugzeugs (UA 175) in den Südturm sind global zitierbare Bildikonen geworden» (Gassert 2021: 19).
Bilder, die ins kollektive Gedächtnis eingehen, vermitteln mehr als nur eine Momentaufnahme; sie lösen Emotionen aus, tragen eine tiefere symbolische Bedeutung, erzählen Geschichten. 9/11 schreibt auch als Medienereignis Mediengeschichte, die Welt wird zu Marshall McLuhans globalem Dorf.
«Die Nachricht von den Anschlägen verbreitet sich wie ein Lauffeuer um den Globus. Eine Stunde nach den Anschlägen haben 70 Prozent der Deutschen davon erfahren. Tags darauf ist die gesamte deutsche Bevölkerung informiert, Alte, Kranke, Jugendliche und Kinder eingeschlossen. In den USA verbreitet sich die Nachricht noch schneller. Dort wissen 60 Minuten nach dem Aufprall des ersten Flugzeugs 90 Prozent der Amerikaner Bescheid. So weit Fernsehen und Internet reichen, sehen Menschen weltweit dieselben schrecklichen Bilder.» (Gassert 2021: 17)
Bildhistorisch ist die These, dass es bei den Anschlägen nicht in erster Linie um die Tötung vieler Menschen, sondern «um die Erzeugung ‹grandioser› Bilder, mit denen die USA und die westliche Welt unter Schock gesetzt werden» (Paul 2009) ging, nicht von der Hand zu weisen. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 sind ein medial inszenierter Massenmord (Schicha 2021: 95), sie sind als Medienkrieg zu verstehen (Schicha 2021: 100).
Bildethisch stellt sich auch bei 9/11 prinzipiell die Frage: Was zeigen vom Terrorakt? Nicht zeigen geht auch nicht, es war ein Ereignis mit globalen Dimensionen. Insgesamt haben die Medien viele Bilder, die durchaus vorhanden waren, aus ethischem Gründen nicht publiziert. Statt die Opfer direkt zu zeigen, publizierten sie die Reaktionen der Augenzeugen (Schicha 2021: 99).
In meinem Gedächtnis sind:
- Die brennenden Twin Towers von Marty Lederhandler (AP)
- «The Dusty Lady» von Stan Honda (AFP)
- «The Falling Man» von Richard Drew (AP)
Das Bild des «Falling man» von Richard Drew wurde zuerst gezeigt, aber nach kurzer Zeit nicht mehr, weil man es als ethisch nicht vertretbar anschaute (Schicha 2021).
Als Marty Lederhandler von AP sein Foto der brennenden Türme am Empire State Building vorbei schoss, war er sich nicht bewusst, dass das Empire State in kurzer Zeit wieder zum höchsten Gebäude in New York werden würde.
Quellen
Gassert, Philipp (2021): 11. September 2001.
Gerhard, Paul (2005): Die Geschichte hinter dem Foto.
Schicha, Christian (2021): Bildethik.
Pavel - 17:49 @ Philo-Blog | Kommentar hinzufügen