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04.09.2024
In meinem letzten Medienethik-Modultag habe ich das Foto des AP-Fotografen und Pulitzer-Preisträgers Evan Vucci zum Attentat auf Trump (13. Juli 2024) gezeigt, das sofort als Medienikone bezeichnet wurde.
Lässt sich das Vucci-Foto wirklich als Medienikone einordnen?
Medienikonen (vgl. Paul 2005, 2009) werden folgende Merkmale zugeschrieben:
1. Suggestion von Authentizität
2. Verdichtung der Handlung
3. Dominanz einer Gebärdefigur im Bildzentrum
4. Evozierung einer synästhetischen Wahrnehmung
5. Erzeugung eines imaginären Bildraums im Off
6. Loslösung aus historischem Kontext
7. Referenz auf Vorbilder
Tatsächlich erfüllt das Vucci-Foto einige dieser Merkmale klar: das angeschnittene Bild, die Blutspuren im Gesicht, die erhobene Faust, die Authentizität suggerieren; die Security-Leute neben und vor Trump, die die Handlung verdichten; Trump klar als Gebärdefigur im Bildzentrum; der offene (schreiende) Mund, der Synästhesie evoziert, und die wehende Flagge oberhalb und hinter der Gebärdefigur, die einen imaginären Bildraum im Off erzeugt.
Beim Merkmal Authentizität muss man aber eine wichtige Einschränkung machen: Der medienaffine Hauptakteur hat sich (wie ebenfalls medial dokumentiert ist) instinktiv und geistesgegenwärtig selbst inszeniert, indem er sich nach ca. 80 Sekunden aufgerichtet, seine rechte Faust erhoben und «Fight!» gerufen hat. Trump betrieb sozusagen Impression Management in extremis. Schwierig zu beurteilen, wieviel Heroismus, wieviel kaltblütiges Kalkül darin steckten. Beim «Napalm-Girl» von Nick Ut (1972) leistet kein Kalkül der Authentizität des Bildes Abbruch, das 9-jährige Mädchen Phan Thị Kim Phúc rannte in Panik und voller Schmerz um ihr Leben.
Medienikonen brauchen zudem eine Inkubationszeit, in denen Narrative auf der Folie des Bildes gebildet bzw. das Bild quasi ‹überschrieben› und aus seinem historischen Kontext losgelöst wird. Beim Napalm-Girl-Foto war es die Kriegsmüdigkeit und die wachsende Ablehnung des Vietnam-Krieges in den USA, die sofort pazifistische Narrative beförderte. Das Vucci-Foto ist noch zu neu, um sich aus dem historischen Kontext gelöst haben zu können. Interessant war, wie schnell das Vucci-Foto an Aufmerksamkeit verlor, nachdem Biden am 21. Juli 2024, nur knapp eine Woche nach dem Trump-Attentat, seine Kandidatur zurückzog.
Bei der Frage nach Vorbildern denkt man in erster Linie an andere Attentate gegen US-Präsidenten: Kennedy 1963, Reagan 1981 u. a. Aber weder Kennedy noch Reagan waren überhaupt in der Lage, ihre Faust in die Höhe zu heben. Mit seiner erhobenen rechten Faust referiert Trump nicht auf historische Vorbilder, sondern allein auf sich selbst: Die erhobene rechte Faust ist eine Geste, die er (wie eine Bildrecherche zeigt) schon seit Jahrzehnten in seinem symbolischen Repertoire hat.
Fazit: Im Moment ist es noch zu früh, um beurteilen zu können, ob das Vucci-Foto als Medieninkone angesehen werden kann.
Quellen:
Gerhard Paul (2005): Die Geschichte hinter dem Foto.
Gerhard Paul (2009): Kriegsbilder – Bilderkriege.
Pavel - 09:59 @ Philo-Blog | Kommentar hinzufügen
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