Blog zu Themen und Fragen aus Philosophie und Kultur. Ich poste hier circa einmal im Monat.
27.11.2024
Anfang November starb der Philosoph Herbert Schnädelbach in seinem 88. Lebensjahr. Seine ruhige und nachdenkliche Art zu philosophieren und sein Verständnis von Philosophie in der Moderne haben mich inspiriert.
In seiner Abschiedsvorlesung vom 18. Juli 2002 (HU Berlin) versuchte Schnädelbach, drei auffällige Besonderheiten der Philosophie der Moderne zu erklären: ihre besondere Bindung an die Philosophiegeschichte, ihre erstaunliche Unstetigkeit und Unübersichtlichkeit und die bemerkenswerte Konstanz einiger weniger Themen. Die drei Besonderheiten moderner Philosophie machen für Schnädelbach darum Sinn, weil er Philosophie als Gespräch versteht.
1️⃣ Philosophie als Gespräch sucht sich Gesprächspartner auch in der Vergangenheit: in der Philosophiegeschichte. Das ist kein Defizit, sondern eine kluge Strategie, da philosophische Klassiker wie Platon, Aristoteles oder Kant nicht veralten, sondern attraktive Gesprächspartner bleiben, von denen man immer wieder lernen kann.
2️⃣ Während in der Philosophie der Antike und des Mittelalters eine gewisse Kontinuität der Themen und Fragen spürbar ist, wirkt die Philosophie der Neuzeit wie ein diachrones Chaos. Die irritierende Vielfalt und Sprunghaftigkeit erklärt Schnädelbach als Folge der Modernisierung, in der kulturelle Dissoziation zunimmt. Ein interner Grund ist aber auch, weil die Philosophie das Gespräch der Nachdenklichen ist. Diese greifen Problemsituationen als Denk-Anlässe auf, die von aussen an sie herantreten (und nicht nur intern aus ihrer eigenen Disziplin bzw. Tradition).
3️⃣ Trotz aller Diskontinuitäten, Moden und thematischen Konjunkturschwankungen bleiben im Gespräch der Philosophie die Grundfragen und Kernthemen bemerkenswert konstant. Die vier Fragen Kants
Was kann ich wissen?
Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen?
Was ist der Mensch?
bleiben für Schnädelbach auch in der Philosophie der Moderne «Basisformeln philosophischer Nachdenklichkeit» (S. 18) – aber mit einer Einschränkung und einer Erweiterung: Die erste Frage ist für Schnädelbach nach dem Ende der Utopien «höchstens noch als religiöse und damit persönliche Frage» (S. 19) verstehbar. Und er ergänzt die drei Fragen mit der vierten Frage
Was können wir verstehen? (S. 20)
Damit holt er neben dem theoretischen und praktischen einen kommunikativen Weltbezug in das Gespräch der Philosophie.
💡 Fazit
Schnädelbachs Kern-Anliegen ist, dass Philosophie von ihrem hohen akademischen Ross herabsteigt, sich von ihrem Selbstverständnis als «oberste Patzanweiserin von Vernunft, Wissenschaft und Moral» (S. 10) verabschiedet und sich «unters Volk» (S. 10) mischt, «Orte des kulturellen bildenden Gesprächs» (S. 18) aufsucht und dort mitredet. Ziel dieses Gesprächs ist das Klarwerden der Gedanken. Damit ist nichts anderes gemeint als das sokratische Konzept von Philosophie als Aufklärung.
🍔 Take-aways
▶️ Philosophie ist ein Gespräch. Ziel des Gesprächs ist ein Klarwerden der Gedanken.
▶️ Philosophie soll vom hohen Ross runter und sich die Hände schmutzig machen, indem sie sich in den gesellschaftlichen Diskurs einmischt, mitredet und damit ihre aufklärerische Rolle wahrnimmt.
«Das Gespräch geht weiter»… beendet Schnädelbach seine Vorlesung (S. 22).
[Metaphilosophie #2]
Pavel - 12:17 @ Philo-Blog | Kommentar hinzufügen